Prof. Dr. phil. habil. Gundula Barsch
Christoph Roßner
Gundula Barsch, Jörg-Simon Schmid
Die vorliegende Arbeit bietet einen Einblick in die herausfordernde Situation einer selbstinitiierten Behandlung und Selbstmedikation mit Phytocannabinoiden. Im Rahmen einer qualitativen Studie wird untersucht, mit welchen Herausforderungen sich Cannabis-Medizin-Patienten derzeit konfrontiert sehen und welche Strategien sie nutzen, um Cannabis erfolgreich in ihren Alltag zu integrieren. Das Konzept des Integrativen Drogengebrauchs, das psychopharmakologische, psychosoziale und soziokulturelle Aspekte berücksichtigt, dient dabei als theoretische Grundlage. Die Ergebnisse zeigen, dass das Dunkelfeld selbstinitiierter Behandlungen und Selbstmedikationen weit größer ist als bisher angenommen. Es existiert offensichtlich längst ein großer Erfahrungsschatz informellen Wissens insbesondere dazu, welche pharmakologischen Varietäten und Applikationsformen von Cannabis sich für die Behandlung welcher Krankheits- und Leidenszustände eignen und welche eher nicht. Besonders anspruchsvoll gestaltet sich neben dem Management des komplexen Wirkspektrums der Umgang mit den gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen.
Seit März 2017 gibt es auch in Deutschland ein Gesetz, durch das Cannabis als Medizin relativ niedrigschwellig für Patienten verfügbar wird. Nach § 31 Sozialgesetzbuch haben „Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung (…) Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn 1. eine (…) dem medizinischen Standard entsprechende Leistung a) nicht zur Verfügung steht oder b) im Einzelfall (…) nicht zur Anwendung kommen kann, oder 2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.“
Niedrigschwellig ist dieses Gesetz vor allem deshalb, weil keine Indikatoren festgelegt sind, für welche Krankheiten und Missbefindlichkeiten Cannabis verschrieben werden darf. Das Gesetz räumt damit den behandelnden Ärzten eine zentrale Rolle bei entsprechenden Therapieentscheidungen ein.
In der Praxis ist allerdings vor allem die dürftige Informationslage problematisch, mit der sich die Ärzteschaft aktuell konfrontiert sieht. Es existieren derzeit weder verlässliche Anwendungsempfehlungen noch durch die Ärztekammer anerkannte Fortbildungsangebote, was in Verbindung mit befürchteten Regress-Forderungen seitens der Krankenkassen zu großer Unsicherheit führt. Diese Leistungsträger stehen Cannabis und seiner Anwendung nach wie vor skeptisch gegenüber und lehnen die Kostenübernahme häufig mit dem pauschalen Verweis auf den „fehlenden Nachweis der Wirksamkeit“ ab, obwohl ihnen das Gesetz eine Ablehnung „nur in begründeten Ausnahmefällen“ einräumt.1
Hinzu kommt, dass der Einsatz insbesondere von Cannabisblüten gegenläufig zu den aktuellen Entwicklungen in der modernen naturwissenschaftlichen Medizin steht, die auf klare Kausalitäten und standardisierte Verabreichungen besteht. Für Cannabis werden nicht nur bisher fehlende standardisierte Dosierungsmöglichkeiten reklamiert. Die Vielzahl der Wirkstoffe in der Pflanze und der daraus resultierenden Pharmaprofile erschweren es zudem, klare Kausalitäten eines Behandlungserfolgs und die für die Evidenzforschung so wichtigen eindeutigen Ursache-Wirkungs-Beziehungen festzustellen.2 Diesem Mangel an medizinischer Evidenz inklusive der konfligierenden Gesamtsituation steht die kontinuierlich steigende Nachfrage auf Patientenseite gegenüber. Laut einer Umfrage der Rheinischen Post unter großen Krankenkassen ließen sich bis zum Beginn des Jahres 2018 schon 13.000 Patienten registrieren, die sich um eine cannabisgestützte Behandlung bemühen;3 für das Frühjahr 2018 kann bereits von über 20.000 Anträgen ausgegangen werden.
Hoffnung macht in dieser Situation die Tatsache, dass, trotz jahrzehntelanger Forschungseinschränkungen aufgrund der Einstufung als nicht-verkehrsfähiges Betäubungsmittel, in bestimmten Kreisen der Bevölkerung das Wissen um das Potential von Cannabis als Heilmittel bei der Bewältigung von Krankheiten und Leidenszuständen nie vollständig verloren gegangen ist.4 Sozialwissenschaftliche Forschungen haben seit den 1990er-Jahren immer wieder Belege dafür gefunden, dass Patienten und Leidende den Gewinn beim Management ihrer schwierigen Lebenssituationen für so hoch einstufen, dass sie für die Beschaffung dieses Hilfsmittels selbst Strafverfolgung, Stigmatisierung in ihrem sozialen Umfeld und unberechenbare Beschaffungsprobleme auf sich nehmen.5-7 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sich bei Cannabis-Medizin-Patienten in und außerhalb offizieller Behandlungen über die Jahrzehnte wertvolles Wissen zur medizinischen Anwendung von Cannabis akkumuliert hat, das ernst genommen werden muss.
Angetrieben von dieser Grundannahme läuft seit 2017 an der Hochschule Merseburg eine qualitative Studie, die erfolgreichen Integrationsstrategien des Cannabisgebrauchs nachgeht. Ausgehend von einem eigens dafür entwickelten theoretischen Modell zu notwendigen Integrationsleistungen, Konflikten, unterstützenden Ressourcen, Fähigkeiten u. a. werden über qualitative Studien sowohl unter Recreation Usern als auch unter Cannabis-Medizin-Patienten (in offizieller oder selbstinitiierter medizinischer Behandlung) nach entsprechenden Strategien für die Integration von Cannabis in den Lebensalltag gesucht und diese einer Analyse unterzogen. Diese Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen und werden gegenwärtig mit einer Erweiterung der Stichprobe der Cannabis-Medizin-Patienten fortgeführt.
Mit ihren theoretischen Grundlagen knüpft die Studie an das Modell des Integrierten Drogenkonsums der RISA-Studie an.9-11 Dieses baut auf einem gesundheits- und sozialpsychologischen Verständnis der Integration von Drogen in den Alltag auf und ermöglicht eine differenzierte und dynamische Betrachtung des in der Regel hochkomplexen Verlaufs dieser Prozesse (Abb. 1). Ausgangspunkt ist die These, dass das Integrationsbemühen darauf zielt, mit dem Gebrauch psychoaktiver Substanzen langfristig die persönliche und soziale Gesundheit zu erhalten oder sogar zu steigern.
Für einen Einblick in die komplexen Herausforderungen und Strategien, mit denen Cannabis in den Alltag integriert wird, bedient sich die Studie einer induktiven, qualitativ ausgerichteten sozialwissenschaftlichen Forschungsstrategie gestützt auf narrative Interviews nach Schütze.18 Es wurde darauf Wert gelegt, die Befragten mit einer Erzählaufforderung ohne weitere Vorgaben in Ausführlichkeit zu ihrem auf Integration ausgerichteten Umgang mit Cannabis berichten zu lassen: In Ergänzung zum narrativen Interview wurde das problemzentrierte Interview in Form eines externen Integrations- und Bilanzierungsteils nach Witzel eingesetzt.19 Die gestellten Interviewfragen orientieren sich dabei am Integrationsmodell (a. a. O.):
Die Auswertung der Daten lehnt sich an Schützes Methodik in enger Verbindung mit der Grounded Theory 20 an und erfolgte unter Verwendung des Auswertungsprogramms MAXQDA. Das Sampling wurde nach dem Prinzip der maximalen Kontrastierung (Geschlecht, Alter, Dauer der Anwendung) gewählt. Es umfasste 22 Interviews mit Recreation Usern und 23 Interviews mit Cannabis-Medizin-Patienten. Da zum Erhebungszeitraum (Mai – November 2017) in der Region noch keine ausreichende Zahl an Cannabis-Medizin-Patienten in einer offiziell anerkannten Behandlung kontaktiert werden konnte, wurden die Einschlusskriterien für das Sample ausgeweitet: In die
Prof. Dr. phil. habil. Gundula Barsch
M. A. Simon Schmid
Prof. Dr. phil. habil. Gundula Barsch
M. A. Simon Schmid
INDICA ist ein Projekt der Hochschule Merseburg und der Berliner Cannabis Hilfe e.V.
Seit 2017 arbeiten wir unter der Leitung von Frau Prof. Dr. phil. habil. Gundula Barsch (Hochschule Merseburg) und einem Team aus Patienten, Wissenschaftlern und Ärzten an der INDICA-Datenbank.
Das Ziel des INDICA-Projektes ist der Aufbau einer interdisziplinären Datenbank zu Cannabis als Medizin zum Informieren, Recherchieren und Forschen.
Mit Ihrem Erfahrungswissen wollen wir Informationen zu den therapeutischen Möglichkeiten von Cannabis sammeln und auf diese Weise Evidenz schaffen. So verhelfen wir dieser Pflanze zu dem Platz in der modernen Medizin, der ihrem großen Potenzial gerecht wird.
Wissen ist ein Schatz. Unsere Forschungen zeigen, dass sehr viel mehr Wissen zu Cannabis als Medizin in der Bevölkerung vorhanden ist, als es scheint. Diesen Wissensschatz wollen wir mit Ihrer Unterstützung bergen!
„Es kann davon ausgegangen werden, dass in der erfahrungsgeleiteten Medizin bereits ein Vorsprung an informellem Wissen besteht, z. B. dazu, welche pharmakologischen Varietäten von Cannabis sich für bestimmte Bedarfslagen eignen und welche eher nicht.“ (Prof. Dr. Gundula Barsch)
Während Erfahrungswissen früher überwiegend in Form mündlicher Überlieferungen oder in Papierform weitergegeben wurde, stehen uns heute erstaunliche technische Möglichkeiten zur Verfügung. Mit unserer IT-gestützten INDICA-Datenbank können wir große Mengen Expertenwissen zu Cannabis sammeln, organisieren, auswerten und daraus Evidenzen ableiten.
Und was soll das bringen?
INDICA steht für das Projekt “INterDIsziplinäre Forschungsdatenbank zu CAnnabis als Medizin”.
Die Initiatoren sind:
Beide sind vor allem für den deutschen Part aktiv.
Diesen beiden Ideengebern haben sich im Laufe der Arbeit an dem Projekt weitere Mitwirkende angeschlossen.
Dazu gehören für den niederländischen Part:
Partner für den englischsprachigen Teil von INDICA suchen wir noch.
Das INDICA-Projekt ist jedoch vor allem angewiesen auf das Mitwirken Vieler, die mit ihren Fallberichten gemeinsam einen wertvollen Fundus an Informationen und Wissen für alle schaffen – im besten Sinn des Konzeptes Citizen Science.
Ziele des Projektes sind der Aufbau, Betrieb und die Weiterentwicklung einer Informations- und Forschungsplattform zu Cannabis-Medizin.
Hintergrund ist das Bestreben, die potenziellen Möglichkeiten von Cannabis-Medizin schnell und in breiter Front für die Bereiche Behandlung, Pflege und Gesundheitsförderung zu erschließen. Die Sammlung von Case Reports soll dazu beitragen, entsprechende Evidenz zu schaffen.
Funktion 1: Die Plattform dient dem Sammeln von Daten über Leiden und Erkrankungen und deren medizinische Behandlung mit Cannabis, bereitgestellt sowohl von Patienten als auch von Ärzten/Behandlern.
Wir haben dazu einen eigenen, selbst entwickelten Fragebogen am Start, sind aber offen für andere Forschungsprojekte und wissenschaftliche Ideen.
Funktion 2: Die Plattform liefert Interessierten Informationen durch die Präsentation der gesammelten Daten und später auch durch die Möglichkeit zu eigenen Recherchen.
Funktion 3: Die Plattform ermöglicht die Kommunikation zwischen allen Beteiligten und soll dem Austausch insbesondere zwischen Patienten und ihren Behandlern mit- und untereinander dienen.
Die Befähigung von Patienten und Ärzten:
Da sich das Projekt INDICA zur Zeit nicht auf finanzielle Mittel eines Forschungs- und Entwicklungsprojektes stützen kann, wurde der jetzt vorliegende Anfang mit einem an der Hochschule Merseburg kostenfrei verfügbaren Datenbanktool (Lime Survey) umgesetzt.
Die Website und die Mailinglisten stellt die Berliner Cannabis-Hilfe.
Mit den Daten soll mittelfristig Evidenz erarbeitet werden, mit der möglichst direkt ein konkreter Nutzen für Arzt und Patient erzielt werden kann.
Ziele dieser Forschungslinie sind:
An der Idee und der Konzeption der Datenbank wird bereits seit 2019 in Abhängigkeit von verfügbaren Ressourcen immer wieder gearbeitet. An diesem Arbeitsprozess waren bereits eine Reihe von vor allem ärztlichen Kollegen und natürlich Patienten beteiligt, die sich aktuell in einer offiziellen Cannabisbehandlung befinden oder sich selbstinitiiert mit Cannabis behandeln. Ressourcenknappheit, vor allem aber die neuen Herausforderungen im Rahmen der Corona-Pandemie haben jedoch eine kontinuierliche Zusammenarbeit immer wieder unterbrochen. Die nun vorliegenden Vorschläge, wie mit einer Sammlung relevanter Daten erst einmal begonnen werden könnte, entstanden im intensiven Austausch und bieten sich nun als Vorschlag an, die interdisziplinäre Arbeit wieder aufzunehmen und über Fächer- und Wissenschaftsdiziplinen hinweg einen Fundus zu schaffen, der allen zugute kommt, die von Cannabis als Medizin profitieren können.
Mit der Entwicklung einer professionellen Datenbank soll es sowohl für Behandler als auch für Patienten und Interessierte möglich werden, selbst in dem Fundus an Erfahrungswissen zu recherchieren, sich zu informieren und auf diese Weise Voraussetzungen zu schaffen, um von den Möglichkeiten der Cannabismedizin profitieren zu können.
Moderne Methoden der Datenanalyse (u. a. Künstliche Intelligenz, Internetrecherche) sollen zum Einsatz kommen, um einen großen Datenfundus nicht nur zu verwalten und zu systematisieren, sondern auch zu neuen Erkenntnissen zu führen.
Ideal ist die Ergänzung des Sammelns von Daten über eine App, die über Self-Tracking Daten im Alltag von Patienten sammelt und dem Fundus zugeordnet werden können.
In diesem Projekt arbeiten wir nicht mit oder für andere Firmen. Für uns sind wissenschaftliche Integrität und Unabhängigkeit zentrale Leitideen des Arbeitens.
Um aber dieses Projekt überhaupt betreiben zu können, können wir uns vorstellen, unter Wahrung des Datenschutzes und aller weiteren ethischen und rechtlichen Standards insoweit mit Firmen zu kooperieren, dass spezielle Auswertungen zu bestimmten Fragen oder z. B. weitere Umfragen von diesen finanziert werden können. Die dabei erhobenen Daten werden allerdings, wie alle anderen Daten auch, ausschließlich von uns gespeichert, ausgewertet und veröffentlicht. Wenn Firmen unser Anliegen, Cannabis als Medizin voranzubringen, ganz allgemein unterstützen wollen, sehen wir dies als Wertschätzung unserer weiterhin unabhängigen Arbeit.
Der erste Schritt ist getan: Der Aufbau einer Datenbank, die zunächst Erfahrungen im deutsch-, englisch- und niederländischen Sprachraum sammelt, systematisiert und eine Auswertung des Datenmaterials möglich macht. Der zweite Schritt soll die Entwicklung einer professionellen Datenbank sein, in der für Interessierte auch eine Recherche im Datenmaterial möglich wird. Auf diese Weise soll der gesammelte Fundus zukünftig auch forschenden Patienten und Behandlern zugänglich gemacht werden.
Parallel zur Arbeit an den Datenbanken sollen weitere kooperierende Projekte gewonnen werden, mit denen ein gesammelter Fundus auch aus anderen Erfahrungs- und Sprachräumen beigesteuert und in INDICA zusammengeführt wird. Wir erhoffen uns davon, dass sich Hinweise auf Evidenz noch schneller und vieldimensionaler zusammentragen lassen und sich ein Austausch von Erfahrungen schnell und unkompliziert organisieren lässt.
Der Zugriff auf die sich ansammelnden Informationen wird zunächst noch etwas umständlich werden. Solange kein ausgereiftes Datenbanksystem zur Verfügung steht, das den Zugang über eine Klick-Auswahl ermöglicht, benötigen wir Hinweise, wie genau eine sinnvolle Zusammenstellung und Auswertung des Fundus’ erfolgen soll.
Deshalb: Liebe Patienten und liebe Behandler! Wie hätten Sie es gerne, was möchten Sie wissen und recherchieren?
Wir freuen wir uns ausdrücklich über Vorschläge hierzu, müssen aber zunächst die ersten n ~ 100 Fallberichte gespendet bekommen, um mit ersten Auswertungen beginnen zu können.
Helfen Sie mit, damit diese schnell zusammenkommen!
Jetzt Mitmachen und die medizinische Evidenz von morgen schaffen!
Wir freuen uns sehr, wenn Sie uns unterstützen. Zum einen können Sie dies durch Verweise auf unser Projekt auf Ihren Kanälen tun und zum anderen natürlich, indem Sie Ihr Wissen über Cannabis mit uns teilen.
Hierfür können Sie unseren Fragebogen ausfüllen und uns gern auch Ihr Feedback zusenden – z. B. um uns auf mögliche Kritikpunkte und Verbesserungen hinzuweisen oder auch, um uns zu unserer Arbeit zu gratulieren.
“Wir wollen Cannabis dazu verhelfen, den Platz in der modernen Medizin zu bekommen, der dem großen Potenzial der Pflanze gerecht wird.”
Stefan vom Verein Berliner Cannabis-Hilfe e.V.
Die erste Fassung des Erhebungsinstruments orientierte sich zum einen an den Aussagen, die von mehr als 20 interviewten Patienten zu ihren Erfahrungen mit einer Cannabistherapie zusammengetragen wurden. Zum anderen bereicherten involvierte Ärzte und Apotheker die Entwicklung durch Hinweise auf praktizierte Diagnoseschemata und Beurteilungsmethoden von Leidens- und Krankheitszuständen. Das Splitting der Datenerhebung in ein Angebot für Behandler und eines für Patienten erwies sich allerdings als nicht praktikabel und wurde mit der jetzt vorliegenden Fassung aufgegeben.
Wir haben den Anspruch, mit dieser Datensammlung eine bessere und komplexere Erfassung der Erfahrungen mit Behandlungsdetails von Patienten und Behandlern zu ermöglichen, als die, die bisher existieren (z. B. Cannabisbegleiterhebung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte bis 31.03.2022). Wir wollen das Erfahrungswissen von Patienten und Behandlern zusammentragen, um daraus wichtige Hinweise für den Einsatz von Cannabis als Medizin ableiten zu können und Impulse für aussichtsreiche Forschungen in diesem Bereich zu geben.
Trotz einer langen Entwicklungsarbeit sehen wir den jetzt vorliegenden Erhebungsbogen nicht als fertig an. Vielmehr soll er permanent weiterentwickelt werden. Allerdings soll dies zu keinem Bruch und zu keiner Unvergleichbarkeit von Datensätzen führen.
Wir planen zudem, zukünftig noch spezielle Fragebögen zu ausgewählten Themenkomplexen anzubieten, um bestimmten Themen dezidierter nachgehen zu können.“
Unser Ziel ist, sowohl von Patienten als auch von Behandlern (Ärzte, Psychologen, Physiotherapeuten, Pflege) möglichst genau die Erfahrungen mit einer Cannabisbehandlung, deren Herausforderungen und Probleme, Therapieschritte und deren Ergebnisse abzubilden.
Gesammelt werden Case Reports, die so zusammengestellt sind, dass sich ein klares Bild ergibt:
(1) zu den Möglichkeiten und Grenzen einer Cannabisbehandlung bei bestimmten Krankheits- und Leidenszuständen
(2) zu Therapieprotokollen und den Ergebnissen, die damit erreicht werden konnten.
Die Daten sollen den sich ansammelnden Schatz praktischer Erfahrungen festhalten und auf diese Weise Anregungen und Möglichkeiten eröffnen, beim Konzipieren eigener Behandlungsversuche auf bereits vorliegende praktische Erfahrungen zurückgreifen zu können.
Vor diesem Hintergrund werden Daten zu folgenden Bereichen gesammelt:
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit und mit dem Bemühen um eine einfache Sprache verwenden wir auf dieser Seite das generische Maskulinum. Dieses steht im Deutschen für alle Menschen unabhängig weiterer Besonderheiten. Auf unserer Seite eint alle das Interesse an Cannabis als Medizin.
Was INDICA mit evidenzbasierter Medizin zu tun hat
Die evidenzbasierte Medizin ist innerhalb der Medizin eine neue Entwicklung. Sie versteht sich vor allem als eine rationale Wissenschaft ärztlichen Handelns, nach der ärztliche Kunst wissenschaftlichen Prinzipien zu folgen hat. Mit dieser Leitidee wird umfänglich verlässliches Wissen gesammelt, damit in der Praxis Mediziner und Patienten gute und passende Entscheidungen für eine Therapie treffen können.
Über verschiedene Methoden (u. a. Metaanalysen, randomisierte kontrollierte Studien, Case Reports) wird nach Belegen für den Nutzen medizinischer Maßnahmen gesucht. Zur Beurteilung des wissenschaftlichen Aussagewertes vorgelegter Studien wurden fünf Evidenzklassen definiert, über die eine Bewertung vorgenommen werden kann. Zum Gold-Standard (Evidenzklasse Ia) wurden Meta-Analysen mehrerer randomisierter und kontrollierter Studien erklärt. Die geringste Evidenzklasse (Klasse V) haben Fallserien (Case-Reports) oder mehrere Expertenmeinungen/Erfahrungsberichte.
Unsere Datenbank ist eine Methode, mit der Case-Reports sowohl von Behandlern als auch von Patienten zum großen Thema „Cannabis als Medizin“ systematisch gesammelt werden. Wir reihen uns damit in das Bemühen ein, Erfahrungen mit dem therapeutischen Nutzen von Cannabis zu sammeln und aufzubereiten. Mit INDICA als Datensammlung zu Case Reports schaffen wir also medizinische Evidenz, die anzuerkennen ist – wenn auch in einer geringen Evidenzklasse.
Die Angaben aus der Datenbank lassen sich mit bewährten statistischen Methoden auswerten und ermöglichen so verallgemeinerbare Erfahrungen und Belege zum therapeutischen Einsatz von Cannabis. Die Datenbank führt mit den Gruppen von Mitwirkenden sowohl individuelle Patientenerfahrungen und die klinische Expertise verschiedener Behandler zusammen – beste Voraussetzungen, um möglichst schnell auch in Bezug auf Cannabis zu einer empathischen Krankenversorgung zu kommen, die Evidenz, klinische Erfahrung und Patientenpräferenzen integriert.
Das Projekt der „INterDIsziplinären Forschungsdatenbank zu CAnnabis (INDICA)“ greift in seiner Umsetzung auf den Forschungsansatz von Citizen Science zurück. Die Anglismen verweisen darauf, dass die Leitideen einer solchen Forschungsstrategie zwar im englischsprachigen Raum, vor allem im Bereich der Umweltforschung entstanden sind. Sie haben sich aber längst auch im deutschsprachigen Raum etabliert und werden in inhaltlich unterschiedlichen Forschungsprojekten umgesetzt
(vgl. www.buergerschaffenwissen.de).
Berechtigte kritische Einwände führten zur Entwicklung von Citizen Science
Hintergrund der Entwicklung von Citizen Science sind kritische Einwände, die zu anderen wissenschaftlichen Arbeitsweisen formuliert werden, die sowohl die Art und Weise der Datensammlung als auch deren statistische Auswertung, Interpretation und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen betrifft.
Die wissenschaftliche Begleitung sozialer Entwicklungen vor allem im Rahmen von KI-gestützter Modellierung haben in den vergangenen Jahren immer wieder verdeutlicht, dass das Portfolio von Daten, das für eine realitätsnahe Abbildung von Prozessen nötig ist, fehleranfällig ist - dies insbesondere dann, wenn es über Institutionen "im Elfenbeinturm" gesammelt wird. Hintergrund dafür ist vor allem, dass wichtige erklärende Daten werden übersehen werden bzw. der wissenschaftlichen Datenerhebung nicht zugänglich sind, wenn sie über Forscher erhoben werden, die sich einem Thema ausschließlich theoretisch nähern.
Mathematische Modellierungen sind zudem nicht immer geeignet, reale Entwicklungen abzubilden und schon gar nicht, diese passend zu prognostizieren. Besonders fehleranfällig sind solche Forschungsstrategien dann, wenn es keine Rückkopplungsschleifen mit gelebten empirischen Erfahrungen gibt. Es liegt auf der Hand, dass vorliegende statistische Zusammenhänge nicht treffend interpretiert werden können, wenn es keine dezidierte Überprüfung in der Realität gibt und die Stimmen der Beforschten in den herausgearbeiteten Schlussfolgerungen keinen Platz haben. Im Ergebnis besteht die Gefahr, dass Interpretationen vorgelegter Zahlen kaum einen praktischen Wert haben oder im schlechtesten Fall an den Bedürfnissen der Menschen vorbei gehen.
INDICA – ein Forschungskonzept für und mit Cannabispatienten
Die Tatsache, dass auch zum Thema „Cannabis als Medizin“ gegenwärtig vor allem über Betroffene und nicht mit ihnen geforscht wird, hat uns ermutigt, unserem Projekt einen grundsätzlich anderen forschungsstrategischen Rahmen zu geben. Herauszustellen ist, dass es zum Beispiel deutliche Unterschiede in den Konsummustern von Betroffenen gibt, die sich in einer Phase der Selbstmedikation befinden und Konsumenten mit einer Substanz-Kontroll-Störung. Ein vorschnelles Urteilen durch Fachpersonal und die folgende Stigmatisierung sorgt bei vielen Betroffenen für Zurückhaltung und Angst, vorschnell einem Fehlurteil zu unterliegen. Durch das Einbeziehen Betroffener in die Forschungsarbeit kann diesem Fehlurteil mit all ihren Folgen für Cannabispatienten entgegen gearbeitet werden. Den unmittelbar Betroffenen, die sich häufig gezwungenermaßen (noch) in der Phase der Selbstmedikation befinden, können auf diese Weise eingreifende Komplikationen in der Behandlung erspart werden.
INDICA entstand in unmittelbarer Zusammenarbeit zwischen akademisch geprägten Wissenschaftlern und zivilgesellschaftlichen Partnern und Akteuren, vornehmlich aus Selbsthilfen von Cannabispatienten in Deutschland.
INDICA wird nach diesem Muster aber auch eine Brücke in andere Länder schlagen und versuchen, qualitative und quantitativ Datensätze und Erkenntnisse über große Gebiete und längere Zeiträume zu generieren.
Alle Beteiligten sind sich einig, dass unser Forschungskonzept mit der Ausrichtung von Citizen Science am besten getroffen ist:
„Citizen Science beschreibt die Beteiligung von Personen an wissenschaftlichen Prozessen, die nicht in diesem Wissenschaftsbereich institutionell gebunden sind. Dabei kann die Beteiligung in der kurzzeitigen Erhebung von Daten bis hin zu einem intensiven Einsatz von Freizeit bestehen, um sich gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen bzw. Wissenschaftlern und/oder anderen Ehrenamtlichen in ein Forschungsthema zu vertiefen. Obwohl viele ehrenamtliche Forscherinnen und Forscher eine akademische Ausbildung aufweisen, ist dies keine Voraussetzung für die Teilnahme an Forschungsprojekten. Wichtig ist allerdings die Einhaltung wissenschaftlicher Standards, wozu vor allem Transparenz im Hinblick auf die Methodik der Datenerhebung und die öffentliche Diskussion der Ergebnisse gehören.“
(aus dem Grünbuch Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland, pdf, S. 13)
Auch wir wollen diesen, in der Wissenschaft anerkannten und in verschiedenen Forschungsfeldern längst praktizierten Forschungsansatz nutzen, um den Wissens- und Erfahrungsfundus von Cannabispatienten in offiziellen, aber auch in selbstinitiierten Behandlungen zu erschließen.
Zentrales Ziel ist, durch verschiedene Beteiligungsformate von Cannabispatienten und -behandlern Wissen zu Cannabis als Medizin zu generieren und auf diesem Weg der Cannabismedizin zu einem anerkannten Platz bei der Behandlung von Krankheits- und Leidenszuständen zu verhelfen.
Warum das INDICA-Projekt per Definition unmissverständlich Citizen Science bedeutet
Ausgehend von der oben genannten zentralen Zielstellung weist das INDICA-Projekt grundlegende Merkmale auf, die es von rein akademischen Forschungsstrategien unterscheidet und mit denen es klar Citizen Science zugeordnet ist:
Unterstützung für Betroffene und Behandler im INDICA-Fokus
Deutlich wird, dass sich INDICA mit seinem Rückbezug auf Strategien und Methoden von Citizen Science um partizipative und transdiziplinäre Forschungsansätze bemüht. Mit der frühzeitigen und umfassenden Beteiligung von Cannabispatienten, ihren Angehörigen und Behandlern erhalten die Beteiligten eine gleichberechtigte Position und werden nicht zu „billigen Hilfswissenschaftlern“ degradiert. Hieraus leitet sich vielmehr die Erwartung ab, innovative Ergebnisse vorlegen zu können, mit denen Cannabis als Medizin eine größere Durchsetzungskraft erhält. Mit diesem Ziel will INDICA Beiträge zu Entscheidungsfindungen in politischen und planerischen Prozessen von Gesundheitsvor- und -fürsorge liefern und Unterstützung für Betroffene und deren Behandler in Bezug auf lebensnahe problemorientierte, lebensnahe Lösungen für alltagspraktische Probleme geben.
1. Schön, dass Sie es bis zu unserer Umfrage geschafft haben...
Und danke, dass Sie an dieser Umfrage teilnehmen. Bitte lassen Sie sich nicht abschrecken von der Länge unseres Fragebogens! Wir brauchen Ihre Mithilfe!
2. Citizen Science
Diese Datensammlung basiert auf dem Gedanken von Citizen Science, auf deutsch „Bürgerwissenschaft/-forschung“. Das heißt, diese Forschung funktioniert nur mit Hilfe von Menschen, die ganz praktisch mit einem bestimmten Thema zu tun haben, sich dazu kundig machen und auch die Forschung dazu vorantreiben möchten. Also nur mit Ihnen!
Wir gehen davon aus, dass es zu "Cannabis als Medizin“ umfangreiches Erfahrungswissen gibt, das aufgrund der Prohibition allerdings nicht genutzt oder bekannt gegeben werden konnte. Das genau wollen wir ändern. Wir bauen darauf, dass Ihr Wissen essentielle Fragen der Cannabisforschung vorantreiben kann. Insofern: Werden auch Sie Teil der Schwarm-Intelligenz!
3. Das sollten Sie wissen/bereit halten, bevor Sie starten
Da viele von Ihnen ein längere Krankengeschichte haben, ist es hilfreich, ggf. in den Krankenakten nachzuschlagen, wenn Sie den Fragebogen ausfüllen.
4. Für die Arbeit am Fragebogen
Wir bitten Sie, den Fragebogen auf jeden Fall abzuschicken! Bitte auch dann, wenn Sie nicht in der Lage oder gewillt sind, alle Fragen zu beantworten.
Es ist übrigens kein Problem, zwischendurch eine Pause zu machen - der Fragebogen wird zwischengespeichert und Sie können dort starten, wo Sie bis dahin gekommen waren.
5. Und am Ende ein kleiner Dank für Ihre Mühen
Am Ende des Fragebogens finden Sie einen Button, mit dem Sie Ihre eingegebenen Daten als druckfähiges Dokument bereitgestellt bekommen. Wir bieten Ihnen damit ein Format mit den wichtigsten Daten einer Anamnese. Dieses können Patienten als eine Vorlage für das Gespräch mit ihren Behandlern nutzen. Für Behandler eignet sich die Datei zur Dokumentation in den Behandlungsunterlagen und ggf. auch als Vorarbeit für ein Patientengutachten.
Viel Spaß bei Ihrem Beitrag zum Wissen um „Cannabis als Medizin“! Wir danken Ihnen nochmals ganz herzlich!
Jahrgang 1958, promoviert im Fach Soziologie, habilitiert im Fach Sozialpädagogik, seit 1999 Lehrgebiet „Drogen und Soziale Arbeit“ an der Hochschule Merseburg, Fachbereich Soziales.Medien.Kultur.; 1994-1998 Leiterin des Referats "Drogen und Menschen in Haft" der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. (DAH); davor in mehreren Forschungsprojekten zum Drogenthema tätig
Eberhard-Leibnitz-Str. 2
06217 Merseburg
mail:
website: http://p102252.typo3server.info
Jahrgang 1980, gelernter Industriekaufmann und Studium in Kommunikation und Management an der Hochschule Osnabrück.
Er ist seit 1994 (Urteil des Bundesverfassungsgerichtes) bestrebt das negative Image von Cannabis mit seinen Klischees, welche sich über die Jahre der Prohibition gebildet haben, zu wandeln und den Focus auf die zahlreichen Erfolgsgeschichten, einer Kulturpflanze der Menschheit, zu legen.
Als Geschäftsführer der Medican Campus Germany GmbH arbeitet er gemeinsam mit Rinus Beintema, der in den Niederlanden mit seiner Stiftung Suver Nuver auf 50 Jahre Cannabis-Geschichte zurückblickt.
Mehr als 30.000 Menschen haben dort die Möglichkeit über eine Socialclub Struktur, Zugang zu qualitativ hochwertigen Hanf-Produkten zu bekommen.
Zusammen mit der Berliner Cannabis Hilfe e.V arbeitet er an deutschlandweiten Strukturen und Selbsthilfemöglichkeiten.
Kaiserstraße 10b
it.zentrum Emsland
49809 Lingen
Tel.: +49 591 142 035 94
mail:
Jahrgang 1982, ist seit über 20 Jahren drogenpolitisch
aktiv, u.a. bei der Grünen Jugend und Grünen Partei, als Mitarbeiter
beim Deutschen Hanf Verbandes und Sens Media sowie Akzept, ACM/SCM,
Schildower Kreis und LEAP.
Aufgrund seiner ADHS Diagnose erhielt er 2014
seine “Ausnahmeerlaubnis für den Erwerb von Cannabisblüten”.
Im Juni
2014 gründete er die Berliner Cannabis-Patientengruppe.
Aktuell ist Maximilian Geschäftsführer des KCG Kompetenzzentrum Cannabis
GmbH, im Sprecherteam des bundesweiten Selbsthilfenetzwerkes Cannabis
als Medizin innerhalb der ACM und Vorstand der Berliner Cannabis Hilfe e. V..
Martin-Riesenburger-Straße 20
12627 Berlin
Tel.: +49 176 327 221 52
mail:
Jahrgang 1967, als Cannabisaktivist ist Rinus Beintema in den Niederlanden schon lange bekannt. Mittlerweile hat ihm das den Beinamen “Robin Hood van de Cannabis” eingebracht. So wird er genannt, da er einer großen Zahl schwerkranker Patienten die heilende Wirkung von Cannabis zugänglich machte.
Mit seiner Firma Medican Campus Nederland B.V. wird er Teil einer Normalisierung der Cannabis-Versorgung in Europa sein.
Seine ganze Geschichte >>hier im Hanfmagzin<< zum Nachlesen.
Die breite Einführung von Cannabis als Medizin scheitert gegenwärtig auch an den Unsicherheiten und am fehlenden Informationsstand zu den zur Rede stehenden Bezügen sowohl bei den Patienten als auch bei den behandelnden Ärzten. Diesem Teil gegenwärtiger sozialer Praxis steht jedoch ein anderer Teil von Lebensrealität gegenüber: Trotz jahrzehntelanger Prohibition ist offenkundig in bestimmten Kreisen der Bevölkerung das Wissen um das Potenzial von Cannabis als Heilmittel bei der Bewältigung von Krankheiten, als komplementäre Unterstützung einer schulmedizinischen Behandlung und als hilfreicher Rückgriff beim Management von Leidenszuständen (z. B. Sprachstörungen, soziale Kontaktschwierigkeiten, Schlafstörungen) nie vollständig verloren gegangen. Sozialwissenschaftliche Forschungen haben seit den 1990er Jahren immer wieder Belege dafür gefunden, dass Patienten und Leidende den Gewinn beim Management ihrer schwierigen Lebenssituation für so hoch eingestuft haben, dass sie für die Beschaffung dieses Hilfsmittels selbst Strafverfolgung, Stigmatisierung in ihrem sozialen Umfeld und unberechenbare Beschaffungsprobleme auf sich nehmen (Barsch/Schmid 2018, Schnelle et al. 1999, Barsch 1996).
Es kann davon ausgegangen werden, dass trotz jahrzehntelanger Prohibition in der Gesellschaft eine sogenannte erfahrungsgeleitete Medizin in Bezug auf die selbstinitiierte Behandlung und/oder Selbstmedikation von Krankheiten und zum Management von Leidenszuständen praktiziert wird (vgl. Brenneisen 2001), durch die sich wertvolles Wissen zur medizinischen Anwendung von Cannabis akkumuliert hat. INDICA nimmt dieses ernst.
Neueste empirische Untersuchungen lassen die Einschätzung zu, dass das Dunkelfeld der Selbstmedikation mit Cannabis auch in Deutschland weit größer ist, als wissenschaftliche und politische Schätzungen angenommen haben (Barsch/Schmid 2018).
Im Dunkelfeld selbstinitiierter Behandlungen und Selbstmedikation wird eher auf Cannabis-Komplexmittel zurückgegriffen, die sich die Betroffenen in unterschiedlichen pharmakologischen Varietäten und diversifizierten Anwendungsformen auf dem Schwarzmarkt beschaffen. Variiert in Menge und Applikation werden diese längst auch in weniger dramatischen Situationen des Leidens und damit nicht nur im Worst-Case oder zu palliativen Zwecken eingesetzt und verhelfen zu mehr Lebensqualität. Insofern lassen sich über diesen Erfahrungsschatz offensichtlich Hinweise erschließen, welche Phytocannabinoide sich in welcher Varietät für die Behandlung/das Management von Krankheits- und Leidenszuständen eignen und welche nicht. Längst hat sich offensichtlich ein mühsam gesammeltes Erfahrungswissen entwickelt, das belegt, dass sich das Potenzial von Cannabis als Medizin nur erschließen lässt, wenn abgestimmt auf die jeweils individuelle Bedürftigkeit der Patienten eine passende pharmakologische Varietät eingesetzt werden kann. Die Erfahrungen langjähriger Cannabispatienten unterstreichen überdeutlich, dass bei falscher Wahl nicht nur keine Effekte eintreten, sondern sogar negative Wirkungen angestoßen werden können (vgl. ebenda).
Insofern kann davon ausgegangen werden, dass in der erfahrungsgeleiteten Medizin bereits ein Vorsprung an informellem Wissen dazu besteht, welche pharmakotypischen Varietäten von Cannabis sich für bestimmte Bedarfslagen eignen und welche eher nicht. Pilotstudien unterstreichen darüber hinaus, dass sich mit Bezug auf diesen Erfahrungshintergrund zudem immer weitere erfolgversprechende Anwendungsfälle mit überraschenden Befunden aufzeigen lassen. Diese werden auf der einen Seite den Bedarf an Cannabiskomplexmitteln in verschiedenen Varietäten zwar erhöhen, sind auf der anderen Seite aber auch geeignet, Aufwendungen im Bereich der Pflege, der medizinischen Versorgung und der medikamentösen Behandlung zu reduzieren (vgl. Barsch, Schmid 2018).
In der Zusammenschau wird die besondere Bedeutung des Beginns der Entwickung einer Forschungsplattform unabweisbar.
Quellen:
Barsch G (1996): Zur therapeutischen Anwendung von Cannabis – Ergebnisse einer Pilotstudie unter HIV-positiven und Aids-kranken Männern und Frauen. In: Cannabis als Medizin: Beiträge auf einer Fachtagung zu einem drängenden Thema. AIDS-Forum D.A.H., Sonderband 15-22
Barsch, G., Schmid, S. (2018): Selbstinitiierte Behandlung und Selbstmedikation mit Phytocannabinoiden – Ergebnisse einer qualitativen Studie unter Cannabis-Medizin-Patienten. In: Die Naturheilkunde 6(2018)95., 36-42
Brenneisen, R. (2001): Cannabis, ein Wundermittel: Hanf als Heilmittel und Stand der medizinischen Forschung in der Schweiz. In: Die Renaissance der Hanfblüte Cannabis, Medizin und Gesellschaft. Beiträge zur 8. Sarganserländer Suchtfachtagung. In: Abhängigkeiten. Forschung und Praxis der Prävention und Behandlung (2001)7., 22-29
Schnelle M, Grotenhermen F, Reif M, Gorter FW (1999): Ergebnisse einer standardisierten Umfrage zur medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten im deutschen Sprachraum. Forschung Komplementärmedizin 6(1999), 28-36